Uckermark-Kurier vom 4.9.2007
Lust am Lieben und Saufen
Von Peter Buske
Prenzlau. Mit einem Paukenschlag endete am Sonntagabend, was mit barocken Raritäten aus der Feder von Jan Dismas Zelenka bei den Uckermärkischen Musikwochen Mitte August begonnen hat. Mit der Aufführung von Carl Orffs berühmter Liedersammlung „Carmina Burana“ setzte das Musenfest im Nordosten Brandenburgs seinen glanzvollen Schlusspunkt.
Auf der Freilichtbühne an der Uckerpromenade hat sich ein großes deutsch-polnisches Künstleraufgebot versammelt, das zu Teilen bereits mehrfach erfolgreich zusammenwirkte. Aus Szczecin (Stettin), wo die Produktion tags zuvor gezeigt wurde, kommen der Akademische Chor der Technischen Universität, der Chor der Camerata Nova, der Kammerchor und der Kinderchor Don-Diri-Don. Darüber hinaus sind das Ballett der „Oper im Schloss“, das Philharmonische Orchester und der Dirigent Eugeniusz Kus angereist. Die Stadt Prenzlau steuert ihren stattlichen Uckermärkischen Konzertchor und die Solisten bei. Klasse und Masse – wie geht das zusammen?
Der mit ostinatem Rhythmus hereinbrechende Eingangschor „O Fortuna“ huldigt der Glücksgöttin, der launischen Herrscherin der Welt. Die voluminös und homogen zusammenklingende Kehlenschar stimmt ihn mit Inbrunst an. Das kraftvolle Schlagzeug assistiert. Hier wie im Folgenden gibt es dezente tontechnische Unterstützung, die das Klangoriginal jedoch nicht verfälscht. Auch die adäquate Richtungsortung klappt vorzüglich. Mit Biss werden „die Wunden, die Fortuna schlug“ besungen. Die Posaunen schmettern aus vollen Schieberohren, die Männerstimmen tönen kräftig. Im innigen Lobpreis des Frühlings dominieren die klangsatten Alte und schärfefreien Soprane. Der lyrische Solobariton Kai-Uwe Fahnert lobt langsam, ja fast gemütlich die milde Sonne und die Erneuerung der Natur, die Herz zur Liebe stimuliert. Und schon schießt Cupido seine Pfeile ab.
In aller Öffentlichkeit, „uf dem Anger“, werben beim instrumentalen „Tanz“ tüllbekleidete Mägdelein und oberkörperfreie Männer umeinander. Die illustrierende Ballettgarnierung, choreografiert von Bettina Owczarek, gleitet später in Bodengymnastik ab. Immer wieder liegt ein Tänzer träumend auf der Erde, ohne ein Traumtänzer zu sein.
Die zündenden Ideen bleiben rar, etwa beim Werbungstanz eines Mädchens („Chume, chum, geselle min“), während selbiger regungslos am Bühnenrand hockt und nicht reagiert. Dann finden wir uns im imaginären Wirtshaus („In Taberna“) wieder. Regelrecht sinnlos und geradezu fantasietötend ist es, wenn ein athletischer Tänzer den Gesang des gebratenen Schwans („olim lacus colueram“) albern herumhüpfend verspottet. Altus Andreas Taubert beklagt des Vogels Zustand sehr eindringlich.
Zu brav singt Bariton Kai-Uwe Fahnert von den Gelüsten des Abts von Cucanien, während dessen Saufkumpane sehr schlank und deklamatorisch auftrumpfen. Als liebeswerbender Ritter im „Cour d’Amours“ ist er dann ganz in seinem (Stimm-)Element. Sopranlieblich, schwelgerisch und höhensicher schwebt Christine Wolff als umworbene Dame bis ins „hohe D“ hinauf. Die Leistung ist famos ähnlich der des stets präzisen und rhythmisch prägnant musizierenden Philharmonischen Orchesters Stettin. Das hat sich eingangs mit Stanislaw Moniuszkos melodienseliger, aus Genrebildchen zusammengesetzter Phantasieouvertüre „Bajka“ warmgespielt. Mächtige Bläserchöre, Glockenspiele und Beckenschläge leiten den ekstatischen „Venus generosa“-Chorhymnus ein, dem die Wiederholung des chorischen Anfangs folgt. Dem Jubel folgt dessen Dacapo.
Prenzlauer Zeitung vom 4.9.2007
Carmina Burana fulminant aufgeführt
Von Robina Steinke
Prenzlau. Es war ein Gänsehaut-Feeling erster Klasse. Zum nunmehr zweiten Mal seit der Erstaufführung in der Sankt Marienkirche 2002 waren die mächtigen Klänge der „Fortuna Imperatrix Mundi“, des wohl berühmtesten Parts der Carmina Burana, in Prenzlau zu vernehmen.
Bereits am Sonnabend feierte das gigantische Ensemble aus rund 250 Mitwirkenden seine Wiederaufführung im Schlosshof in Stettin, passend zu dessen Restaurierung. An die 1000 Besucher kamen in den Genuss der von Carl Orff 1935/1936 neuinszinierten Komposition. Im Rahmen der Uckermärkischen Musikwochen 2007 strömten auch am vergangenen Sonntag rund 700 Klassikliebhaber auf die Tribüne der Freilichtbühne Prenzlau.
Der erste Teil wurde durch die Phantasie-Ouvertüre „Bajka“, dem „Wintermärchen“ von Stanislaw Moniuszko bestimmt. Abwechselnd erzählen die Lied- und Dramentexte aus dem 11. und 12. Jahrhundert vom Frühling und der Liebe sowie geistlichen Dramen, welche, zu Ehren der Schicksalsgöttin Fortuna, von mächtigen Chorgesängen eingerahmt werden. Gesungen wurde die „szenische Kantate“ von fünf Chören aus Stettin und Prenzlau vorwiegend in Mittellatein. Neu in diesem Jahr waren die Tanzstücke des Balletts der Oper im Schloss Stettin. Die Tänzerinnen und Tänzer in blütenweißen Kleidern oder mit freien Oberkörpern untermalten die Themen des Werkes stimmungsvoll. Die dynamischen Lieder aus dem Kloster Benediktbeuren fanden auf der Freilichtbühne eine ungetrübte Akkustik, die ihren klanglichen Höhepunkt in dem Solo der höhensicheren Sopranistin Christine Wolff fand. Immer wieder war das Publikum hin- und hergerissen zwischen Freudentränen und reißender Spannung, zwischen lieblichen Liebesgefilden und der Vergänglichkeit des Lebens. Musikalisch begleitet wurden Chor und Solisten durch das Philharmonische Orchester Stettin. Am Ende des dritten Teiles „Cour d‘amour und Blanziflor et Helena“ verwies der Schlusschor ein letztes Mal mit machtvollen Klängen auf die Stärke Fortunas. Ein Sturm der Begeisterung mit Standingovations brach unter den Zuschauern los, als die berühmte Komposition nach gut einer Stunde ihr fulminantes Ende fand.