Prenzlauer Zeitung vom 30.08.2004
Ausdrucksreich vorgetragenes Ärztebulletin
Mahlers „Auferstehungssinfonie“ in Prenzlau
Prenzlau. Wird er die vom Komponisten vorgeschriebene Pause von mindestens fünf Minuten einhalten? Die spannende Frage beantwortet Dirigent Daniel Inbal mit einer stark verkürzten Zäsur, die den „Allegro maestoso“-Satz vom‘ nachfolgenden Andante moderato in Gustav Mahlers monumentaler Sinfonie Nr. 2 c-Moll „Auferstehung“ trennt. Ein durchaus glaubwürdiges Vorgehen, ohne längeres Verweildauer der trauermarschbestimmten Totenfeier des Anfangs die ländlerliebliche Erinnerung an den geliebten Verstorbenen folgen zu lassen. „Warum hast du gelebt? Warum hast du gelitten?“, schreibt Mahler über seine Sinfonie mit ihrem trivialmetaphysischen Programm von Vergehen und Auferstehen, Tod und Verklärung. „Wir müssen diese Fragen auf irgendeine Weise lösen, wenn wir weiterleben sollen.“
Seine Antwort gibt er im letzten Satz, wild herausfahrend, mit der vertonten Klopstock-Ode „Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du“. Ehe es so weit ist, vergehen lange neunzig Minuten, die der Dirigent bei der umjubelten Aufführung im Rahmen der Uckermärkischen Musikwochen am Sonnabend in der ausverkauften Marienkirche zu Prenzlau jedoch glatt vergessen macht.
Zumal er mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt, dem Uckermärkischen Konzertchor Prenzlau, der polnischen Sangesgemeinschaft „Collegium Maiorum“ (Technische Universität Stettin) sowie den Solistinnen Yvonne Wiedstruck (Alt) und Nancy Weißbach (Sopran) versierte Interpreten zur Verfügung hat, die der rhetorisch prägnanten Partitur ihren Ausdrucksreichtum in Gänze enthüllen.
Durchsichtiger Klang
Spannungsgeladen breiten sie das Werk aus, das von Anlage und Aussage her durchaus in den Kirchenraum passt. Den Nachhalltücken begegnen die Musiker durch einen sehr geschmeidigen, extrem schlanken und durchsichtig gehaltenen Klang, der selbst bei den gewaltigsten Aufbäumungen und tränenreichsten Tröstungen nie seine Konturen verliert. Den Mahlerschen Vortragsbezeichnungen wie „mit durchaus ernstem und feierlichem Ausdruck“ oder „sehr feierlich, aber schlicht“ wissen sie sinnreich zu entsprechen. Ihr plastisches Musizieren von Symptomen des Sterbens gleicht fast einem Ärztebulletin – und ist dennoch hinreißend gespieltes Klangtheater, mit Blechbläsereinsätzen hinter der Szene.
Der wiegenden Ländleridylle kann man sich dabei genauso hingeben wie Trivialem und Lärmendem im grotesken Scherzo, dem die Frankfurter Musiker gleichfalls zu faszinierender Wirkung verhelfen. Ohne Unterbrechung folgt der vom Alt gesungene, textlich kaum zu verstehende „Urlicht“-Gesang, dessen tröstliche Töne von weihevollen Posaunenchorälen begleitet werden. Butterweich und homogen stimmt der Chor den Auferstehungshymnus an, dem der zunächst lieblich, dann ausladend tönende Solosopran weitere frohe Botschaften hinzufügt. Die Uckermärkischen Musikwochen erleben in St. Marien ihren Konzerthöhepunkt.