Mauerfall-Ehrung: „Fidelio“ in der Berliner Heilandskirche – Freiheitswille konzertant
Die Beiträge der drei Opernhäuser Berlins zur Ehrung des Mauerfalls von 25 Jahren hielten sich am 8. 11. 2014 im Minusbereich auf – es war eine private Initiative, die in bewährter Tradition und mit Beethovens Fidelio eben nicht staatlich verordnet an diesen bedeutsamen Tag und einen symbolhaften Ort erinnerte – überregionaler Magnet sollte Rainer Goldberg sein, der über die Proben hinaus und kurz vor seinem 75. Geburtstag nicht bis zur Aufführung selbst durchhielt. Was seinetwegen eine bundesweit beachtete Veranstaltung hätte sein sollen – auch zu Goldbergs Ehrung! – wurde eine recht berlinerische, aber nicht minder emotionale. Deshalb bringen wir den Bericht zur Aufführung in der Berliner Heilandskirche mit einer Verbeugung vor dem Bemühen einer nicht-staatlichen Anstrengung, die in dieser Ost-West-Bemühung die Dankbarkeit und Erinnerungen der wiedervereinten Stadt widerspiegelte. Ihnen danken wir! G. H.
Von Peter Sommeregger
Zum Gedenken an den Mauerfall vor 25 Jahren realisierte der Berliner Oratorien-Chor am 8.11.2014 ein höchst ehrgeiziges Projekt, nämlich eine konzertante Aufführung von Beethovens Fidelio. Beethovens einzige Oper stellt bekannterrmaßen an alle Beteiligten höchste Anforderungen, man konnte gespannt sein, wie der Oratorien-Chor, verstärkt durch den Uckermärkischen Konzertchor Prenzlau, und das Preussische Kammerorchester unter Thomas Hennig, sich dieser schwierigen Aufgabe entledigen würde. Um es vorweg zu nehmen: Das die Moabiter Heilandskirche bis auf den letzten Platz füllende Publikum wurde Zeuge einer höchst engagierten Aufführung, die ohne Pause den Spannungsbogen dieser „Freiheitsoper“ eindrücklich aufzubauen verstand. Auf die gesprochenen Dialoge verzichtete man zugunsten des heute viel verwendeten Textes „Roccos Erzählung“ von Walter Jens. Ich persönlich finde diesen Text ziemlich unerträglich – vielfach stört er den dramaturgischen Ablauf und hat eigentlich in Oper und Konzertsaal nichts zu suchen. Rainer Wulf trug ihn zwar optimal deutlich und engagiert vor, aber es gibt nun einmal nichts Richtiges im Falschen.
Ralph Eschrig/Foto © 2013, Bettina Stöß für den Chor der Deutschen Oper Berlin
Die Attraktion der Besetzung sollte eigentlich Reiner Goldberg als Florestan sein, wegen Indisposition musste er kurzfristig ersetzt werden. Der eingesprungene Ralph Eschrig war aber einer der Glücksfälle des Abends. Der heute als 1. Tenor im Chor der Deutschen Oper singende Dresdner mit einer eindrucksvollen Konzert- und Opernkarriere (u. a. in Dresden, Berlin, Stockholm und Salzburg) bot ein berührendes Rollenporträt des Gefangenen Florestan, kraftvoll, höhensicher, textverständlich. Was kann man mehr wünschen? Ihm zur Seite und ebenbürtig die Leonore der Ilona Nymoen. Sie singt ihre Partie mit dem erforderlichen Temperament und einer schönen, sicheren Höhe. Ein paar verpatzte Einsätze fielen hier nicht weiter ins Gewicht. Nach etwas unsicherem Beginn konnte auch Haakon Schaub als Pizarro mit sonorer Stimme und deutlicher Präsenz überzeugen – ihn möchte man bald und in anderen wichtigen Partien seines Fachs hören. Etwas schwächer Kathleen Morrison und Guillaume Francois als das Buffo-Paar Marzelline und Jaquino. Leider gänzlich unzureichend war Gaetan Tagne als Rocco: Der Sänger war über weite Strecken nicht zu hören. In den Ensembles fehlte dementsprechend der Bass, der diesen Nummern sozusagen die Grundfarbe gibt.
Der Chor lief zu einer Höchstleistung auf, nach dem fern aller Routine vorgetragenen Gefangenen-Chor schließlich das jubelnde Finale als Sieg der Freiheitsidee. Das höchst disziplinierte Publikum war sichtlich bewegt von dieser höchst engagierten und couragierten Aufführung. Was für ein Abend!
Märkische Oderzeitung vom 10.11.2014
Historische Momente
Feierlich-fröhlich hat die Uckermark an den Mauerfall vor 25 Jahren erinnert. Viele Menschen erzählten erstmals öffentlich, wie sie das denkwürdige Datum erlebt hatten. Der Bürgerrechtler Stephan Hilsberg sprach in Prenzlau von der Freiheit damals und heute.
Von Oliver Schwers
Die junge Studentin Karina saß an jenem 9. November in ihrem Berliner Wohnheim, als es plötzlich an der Tür Sturm klingelte. Die Jungs des Studiengangs berichteten aufgeregt von der offenen Grenze. In einer überfüllten Straßenbahn fuhr Karina sofort zur Bornholmer Straße, erlebte Menschenmassen, die gestikulierten. „Wie selbstverständlich passierten wir die Grenze, ohne Nachfragen, ohne Ausweiskontrolle. Unwirklich und unfassbar passierten wir eine Zone, in deren Nähe wir uns vorher nicht einmal gewagt hätten.“ Die Westberliner schauten aus ihren Fenstern, winkten und prosteten den Grenzgängern zu.
Karina Dörk ist ins Studentenwohnheim zurückgekehrt, beendete später ihr Studium und vertritt heute die Uckermark als stellvertretende Landrätin. Ihre persönlichen Erlebnisse aus jenen Tagen schilderte sie bei der Gedenkveranstaltung zum Mauerfall in der Aula der Prenzlauer Grabowschule vor hunderten Gästen.Doch neben Freudentaumel und all den neuen Möglichkeiten erinnerte sie auch an die Gefahr für Freiheit und Demokratie. Angesichts der jüngsten Ereignisse in der Ukraine warf sie die Frage in den Raum: „Was wäre damals geschehen, wenn der Staatschef der damaligen Sowjetunion nicht Michael Gorbatschow, sondern Wladimir Putin geheißen hätte?“
Von seiner bewegenden ersten Westberlin-Fahrt als Abiturient berichtete der heutige Prenzlauer Bürgermeister Hendrik Sommer. Vier Schüler ließen sich per Taxi über Staaken durch die offene Grenze bringen. Zwei aus der Gruppe blieben aus Angst vor einem historischen Missverständnis gleich ganz im Westen.
Die gesamte Festveranstaltung mit geladenen Gästen aus allen Teilen der Uckermark schwirrte voller ähnlicher Geschichten. Auch an die legendäre Demonstration der Prenzlauer Bürger vor der Botschaft in Berlin gegen die Stationierung sowjetischer Kampfhubschrauber erinnerten Zeitzeugen.
Der damalige Bürgerrechtler Stephan Hilsberg, Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), schlug in seiner bewegenden Festrede den historischen Bogen vom Eisernen Vorhang quer durch Europa bis zu den persönlichen Erfahrungen der Menschen in der Uckermark und anderswo. Er sprach vom gelebten Unglück, dessen man sich erst im Moment des Glücks in seiner ganzen Tragweite bewusst wurde. Die DDR sei ein Unglück gewesen, auch wenn viele Menschen dies nicht so sehen. Aber „jeder muss sich zu seinen Erinnerungen bekennen können“, so Hilsberg. Und früher habe man sich nicht getraut zu sagen, was man fühlt und denkt. Dennoch hätten die Menschen versucht, sich in ihrem Leben einzurichten und anzupassen, obwohl die Angst ein ständiger Begleiter gewesen sei. „Beton gegen Freiheit und Lebensglück“ – mit dem Mauerfall hätten die Ostdeutschen Weltgeschichte geschrieben, auch wenn viele sich später in ihrer Hoffnung enttäuscht sahen, den gerechten Lohn für ihre Arbeit zu bekommen.
Mit Ausschnitten aus Beethovens Befreiungsoper Fidelio rissen das Preußische Kammerorchester, der Uckermärkische Konzertchor und der Berliner Oratorienchor in einer gemeinsamen Aufführung das Publikum zu tosendem Beifall und stehenden Ovationen hin.
Prenzlauer Zeitung vom 29.10.2014
„Mauerspecht“ hütet seine Steine
Auf die ldee, am Berliner Bollwerk herumzuklopfen, wäre Jürgen Bischof allein nicht gekommen. Doch die Neugier auf ein weltbewegendes Ereignis stellte ihn vor 25 Jahren mitten ins Geschehen. Das sollte heute noch gemeinsam gefeiert werden, findet er.
Von Monika Strehlow
Uckermark. Er gehört zu den „Mauerspechten“, die sich nach der Grenzöffnung in Berlin vor 25 Jahren begeistert ein Stück aus dem Bollwerk hämmerten. Es mit eigenen Händen abreißen, auf diese Idee wäre Jürgen Bischof am 11. November 1989 vorher nie gekommen. An jenem Tag war er mit seiner Frau nach Berlin gefahren. Zuvor gaben sie ihre Kinder, damals zweieinhalb Jahre und knapp zwei Monate jung, in Omas Obhut. An besagtem Sonnabend mussten der Direktor der Musikschule Prenzlau und die Kindergärtnerin nicht arbeiten. Mit eigenen Augen wollten sie sehen, was sich dort tat. Die Züge waren proppenvoll. „Wir standen halb auf dem Trittbrett“, kann er heute darüber scherzen. Denn er weiß, dass viele zurückblieben, weil einfach kein Platz mehr frei war.
Unter den Linden fand sich das Paar in einem Menschenstrom wieder, der dasselbe Ziel hatte. „Alles was Beine hatte, wollte zum Brandenburger Tor. Es war schließlich DAS Symbol der Teilung“ schildert der Prenzlauer. So unglaublich es war: Niemand hinderte ihn daran, auch auf den Betonwall zu klettern und sich zu freuen. Um ihn herum hockten die Menschen und schlugen Stücke aus der Mauer. „Alle klopften auf den Beton ein. Da wurden sogar Hämmer von Hand zu Hand gereicht.“
An die meisten Einzelheiten kann sich Jürgen Bischof nicht mehr erinnern. Nur dass auch er plötzlich einen Hammer bekam und sich ans Werk macht. Das Mauerstück hat Jürgen Bischof noch. In Zeitungspapier eingewickelt liegt es seit einem Vierteljahrhundert gut verwahrt. Die Farbreste und die Zusammensetzung des Betons, der mit kleinen Kieselsteinen vermischt war, zeugen heute noch von der Echtheit. Für die Familie ein besonderes Stück, das an unvergessliche Zeitgeschichte erinnert. Dabei trägt es zwei Seiten ins sich, findet Jürgen Bischof. Zum einen das ernsthafte Erinnern an die Wende mit allen ihren Facetten. Zum anderen die Freude über die Öffnung der Grenze und den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. „Wir haben damals auf der Mauer getanzt. Und wir sollten auch heute mit Freude an diesen Tag erinnern. Vieles hat sich in den Nachwendejahren verändert. Beruflich wie privat gab es Entwicklungen, auf die er stolz ist.
In diesem Sinne freut sich Jürgen Bischof auf zwei Ereignisse, zu denen die Uckermärker eingeladen sind. Als erstes geben der Landkreis Uckermark und die Stadt Prenzlau am 7. November zum Jahrestag des Mauerfalls eine musikalische Feierstunde in der Aula der Prenzlauer Grabowschule. Auch wenn der Besuch kostenfrei ist, sollte man sich seine Karte in der Uckermärkischen Kulturagentur reservieren. Noch sind einige zu haben. Preußisches Kammerorchester, Uckermärkischer Konzertchor und renommierte Solisten bringen unter anderem Ausschnitte aus Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“.
Am 9. November feiern Stadt und Kulturagentur mit „Musik & Tanz“ in der Uckerseehalle den Mauerfall. Mit dabei sind die Solisten Alenka Genzel und Frank Matthias, die mit dem Preußenorchester unter Leitung von Aiko Ogata unterhalten. Im Anschluss legt Dieter Holz von Fun Projekt zum Tanz auf. Auch in diesem Fall ist es ratsam, Karten zu bestellen, selbst wenn der Eintritt frei ist. „Wir haben allen Grund zum Feiern“, findet auch der städtische Kulturamtsleiter Eckhard Blohm. „Dieser 9. November war der erste unblutige in der Geschichte. Es war der Beginn einer friedlichen Revolution.“