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20.07.2014: Regensburger Domspatzen

Anzeigenkurier vom 30.07.2014

Domspatzen für eine Nacht ganz in Familie

Von Birgit Bruck

Regensburger Domspatzen (Foto: Birgit Bruck)Uckermark. Annafee lauscht aufmerksam der Musik. 56 junge Sänger lassen die Luft in der Prenzlauer Nikolaikirche vibrieren. Ganz zarte Töne schwellen an und verhallen schließlich unter dem gotischen Gewölbe. Die Regensburger Domspatzen – in kurzen Hosen und T-Shirts –
sind beim Einsingen. Und die zwölfjährige Annafee aus Blankensee bei Gerswalde hört ihnen geduldig zu und wartet. Denn wenn die  Chorknaben hier fertig sind, werden zwei von ihnen sie auf den heimischen Hof begleiten. Wer es von den 56 sein wird, weiß das blonde Mädchen noch nicht.

Nach dem großen Erfolg 2008 machen die Regensburger Domspatzen zum zweiten Mal Station in der Kreisstadt. Und wenn berühmte Chöre  zu Gast in Prenzlau sind – so heißt die seit 2001 veranstaltete Reihe – dann treten die nicht nur auf, sondern sind auch bei Familien untergebracht. Das zu organisieren ist zum fünften oder sechsten Mal die Aufgabe von Dagmar Krecker. Während die Domspatzen weiter  den Anweisungen von Domkapellmeister Roland Büchner folgen, sieht die Prenzlauerin noch einmal auf ihre Liste und dann in den Vorraum  der Kirche. „Alle da“, sagt sie und meint die 28 Gasteltern, die gleich jeweils zwei Domspatzen unter ihre Fittiche nehmen werden. Die  Veranstalter – die Konzertagentur und der Konzertchor – haben schon eine Liste mit „Stammeltern“, die immer wieder zur Verfügung stehen. Dagmar Krecker hat sie alle angerufen. „Immerhin ist Ferien- und Urlaubszeit, aber alles hat geklappt“, sagt sie und begrüßt die  Quartiereltern.

Auf dem Gut Blankensee beherbergen sie zum dritten Mal junge Chorsänger, verrät Botho Hahn. Er hat kurz die Heuernte verlassen, um mit  Tochter Annafee die Gäste in Empfang zu nehmen. „Vielleicht haben die Jungs am Nachmittag Lust, mal mit aufs Feld zu kommen“, sagt er.  Annafee dagegen würde den Jungs gern ihre Hühner zeigen. „Für die bin ich verantwortlich, wir haben auch gerade ein Küken.“ Aber auch einige Fragen hat die Zwölfjährige, die selbst schon im Kinderchor gesungen hat: „Ich möchte von ihnen wissen, wie es im Internat ist. So ohne Eltern.“ Sie schweigt kurz und sagt: „Sie haben ja sicher ganz viele tolle Erlebnisse. Aber ein bisschen tun sie mir eigentlich auch leid.“

Jürgen Bischof, Chef der Prenzlauer Konzertagentur, weiß aus eigener Erfahrung, wie das Leben in so einem Chor ist und auch, wie solche Konzertreisen laufen. Sieben Jahre gehörte er zu den Dresdner Kapellknaben, neben dem Kreuzchor der zweite große Knabenchor der Elbestadt. „Diese Singefahrten, bei denen man fast täglich woanders ist, haben ihre ganz eigene Atmosphäre“, erinnert er sich. Denn das sind  nicht nur ständig neue Auftrittsorte, sondern das sind auch immer wieder neue Quartiereltern. „Besonders für die Jüngsten, nicht älter als acht, neun Jahre, ist das keine einfache Situation“, sagt er und erzählt von  einer älteren Dame, bei der er ständig essen musste. „Und noch ein Stück Kuchen und noch ein bisschen Sahne … Und beim Konzert war mir dann furchtbar schlecht“, sagt er lachend.

Die Gasteltern der Domspatzen wollen es natürlich besser machen mit ihren musikalischen Schützlingen. Die haben an diesem Mittag schon die Fahrt aus Teterow hinter sich, wo sie am Vorabend ein Konzert im  Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern gegeben hatten, und jetzt auch das Einsingen. Der 14-jährige Nikolas und der 13-jährige Leo holen ihre Koffer und steigen zu Annafee und ihrem Vater ins Auto. Ein  bisschen müde sehen sie aus. „Ich bin froh, dass wir bei Familien untergebracht sind. Gestern waren wir in einer Jugendherberge“, sagt Nikolas noch, bevor es losgeht nach Blankensee. Wenig später werden sie dort  im Schatten in der Hängematte liegen.

Fünf Stunden später. Die Bänke in der Nikolaikirche sind bis auf den letzten Platz besetzt, die vorderen Reihen sind reserviert für die Gasteltern. Beifall, als Nikolas, Leo und die 54 anderen Regensburger Domspatzen  hereinkommen. Als die ersten Lieder ertönen, ist es wieder da, dieses Vibrieren in der Luft. Ob bei der geistlichen Musik im ersten Programmteil oder nach der Pause – als die Jüngsten die dunklen Jacketts in der  Garderobe lassen durften und der Chor mit Volksliedern und Medleys seine Vielseitigkeit zeigte. Herzlicher Applaus vom fachkundigen Prenzlauer Publikum, auch von Familie Hahn, die vor der Kirche auf Nikolas und  Leo wartet, um mit den Jungs einen ruhigen Sommerabend in der Uckermark zu verbringen. Bevor es früh mit dem Bus wieder zurück nach Regensburg geht. Vielleicht haben sie ja Annafee noch erzählt, wie es so ist  auf einer Konzertreise fern von Eltern und Familie.