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Jugendchor sagt Mentor Tschüss

Prenzlauer Zeitung vom 08.06.2023

Von Monika Strehlow

Über Jahrzehnte leitete Tausendsassa Jürgen Bischof auch den Chor des Prenzlauer Gymnasiums. Die Zwangspause durch Corona war ein Rückschlag für den Klangkörper. Der Chor steht nach Bischofs Ausscheiden vor einem Neuanfang.

Jürgen Bischof ist künftig nicht mehr Chorleiter. (Foto: Monika Strehlow)

Jürgen Bischof ist künftig nicht mehr Chorleiter. (Foto: Monika Strehlow)

Prenzlau. Noch wird ein Geheimnis um die Verabschiedung eines langjährigen Pädagogen und des fast legendären Leiters des Jugendchores am Prenzlauer Gymnasium gemacht. Nur eines steht fest: Am 30. Juni soll Jürgen Bischof während der Übergabe der Abiturzeugnisse besonders geehrt werden. Mehr ist Jörg Dittberner nicht zu entlocken. „Darin sind nur ganz Wenige eingeweiht und das soll auch so bleiben“, sagt der stellvertretende Leiter des Christa-und-Peter-Scherpf- Gymnasiums.

Der gebürtige Erfurter Jürgen Bischof ahnte 1978 nicht, dass er 45 Jahre an einer der traditionsreichsten Schulen wirken sollte. 1543 erstmals urkundlich erwähnt hielt sich dort über die Jahrhunderte eine unerschütterliche Tradition. An der Prenzlauer Lateinschule, laut Schulchronik 1813 erstmals als Gymnasium bezeichnet, gab es immer einen Chor, der zumindest in friedlichen Zeiten das Leben in der Stadt und der Uckermark bereicherte. Doch damit begann sich Jürgen Bischof erst viel später zu beschäftigen.

Seine erste Stelle trat der blutjunge Diplom-Musikpädagoge und Chorleiter an der Musikschule Prenzlau an, deren Leitung ihm schnell anvertraut wurde. Fast zeitgleich überzeugte ihn Dr. Eberhard Krienke, stellvertretender Direktor der Puschkinschule, damals eine Erweiterte Oberschule (EOS), die Arbeitsgemeinschaft Musik zu leiten und den Singeklub der Schule zu übernehmen. Ein willkommenes Angebot. Denn den Pädagogen reizte die Aussicht, seiner Berufung folgend mit jungen Menschen zu singen und zu musizieren. „Ich kam aus der Dresdner Knabenchortradition und von der Musikhochschule Weimar und hatte andere Vorstellungen von Chorarbeit. Das Liedgut der FDJ-Singebewegung war nicht Gegenstand des Studiums und meiner musikalischen Ausrichtung“, erinnert er sich. „Heute bin ich stolz darauf, was aus unseren Anstrengungen gewachsen ist.“

Mit Jürgen Bischof begann der Singeklub zunehmend auch Volkslieder, klassisches Liedgut und Madrigale zu präsentieren. Aus dem Singeklub wurde „ad libitum“. Die Namensänderung war Programm, resümiert er. Musikalisch vielseitig aufgestellt, machte die meist 15-köpfige Vokal- und Instrumentalgruppe über Prenzlau hinaus auf sich aufmerksam. Sie reiste 1982 und 1984 in die Autonome Sowjetrepublik Karelien, die Partnerregion des damaligen DDR-Bezirks Neubrandenburg. Die Gruppe gastierte am „Sonnenstrand“ in Bulgarien und in anderen „Bruderländern“ der im Westen Ostblock genannten sozialistischen Staaten. Fest eingebrannt in sein Gedächtnis hat sich das Konzert vor überlebenden Frauen des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück.

Jürgen Bischof (am Klavier) mit Mitgliedern von „ad libitum“ 1984 bei einer Probe: Der Chorleiter hatte aus dem FDJ-Singeklub der Puschkin-EOS eine über Bezirksgrenzen hinaus bekannte Vokal- und Instrumentalgruppe geformt. (Foto: privat)

Jürgen Bischof (am Klavier) mit Mitgliedern von „ad libitum“ 1984 bei einer Probe: Der Chorleiter hatte aus dem FDJ-Singeklub der Puschkin-EOS eine über Bezirksgrenzen hinaus bekannte Vokal- und Instrumentalgruppe geformt. (Foto: privat)

Das Ansehen der Prenzlauer Sänger und Musiker wuchs schnell. Ehrungen, wie die begehrte Goldmedaille zu den DDR-Arbeiterfestspielen 1982 oder der Fritz-Reuter- Kulturpreis 1984, und Auftritte im Rundfunk zeugten von Engagement und künstlerischem Niveau. Damit öffneten sich Fördertöpfe von FDJ, Gewerkschaft und Staat, was zu optimalen Bedingungen beitrug. „Uns stand auch ein volkseigener Betrieb, der damals renommierte Uckermärkische Milchhof in Prenzlau, zur Seite, der uns nicht nur finanziell hervorragend unterstützte“, sagt Jürgen Bischof. „Trotzdem waren und blieben wir das Ensemble einer Schule, das ein breites Repertoire pf legte und sogar mit eigenen Kompositionen hervortrat. Es wurde mehrstimmig gesungen, und die Mitglieder begleiteten sich selbst auf Instrumenten“, so Bischof und meint scherzhaft: „Damit waren wir sozusagen ein Unikat im damaligen Bezirk Neubrandenburg“.

Am 4. Juli 1990 gab „ad libitum“ das letzte eigenständige Konzert. Bereits zwei Monate später, am 6. September 1990, kam der „neue“ Puschkinchor mit über 70 Mitgliedern zur ersten Probe zusammen. Denn mit Schulleiter Bernd Hartwig waren sich Jürgen Bischof und Musiklehrerin Heidi Herrmann einig gewesen, die Chortradition neu zu beleben, um die musikalische Ensemblearbeit an der Schule fortzusetzen.

Chorleiter Bischof schaffte es mit Musiklehrerin Monika Lüdtke, die den 1994 gegründeten schulischen Nachwuchschor leitete, kontinuierlich über Jahre hinweg, Schüler aller Klassenstufen auszubilden und für gemeinsames Singen zu begeistern. Vom hohen Niveau zeugten in dieser Zeit Konzerte im In- und Ausland, in der Uckermark wie in anderen Regionen Europas. „Es ist Fakt, dass der Chor so manche Tür geöffnet hat“, ist Jürgen Bischof überzeugt. Zeitweise existierte zusätzlich zum Jugendchor an der Schule auch ein Jugendkammerchor.

Für den Uckermark Kurier schaut der Musikpädagoge in seine persönliche Statistik. Demnach absolvierte der Chor des Gymnasiums von 1990 bis zur Corona-Pandemie über 450 Auftritte. Die Singegruppe „ad libitum“ und der Jugendchor gestalteten von 1978 bis 2022 alle Jugendweihefeiern in Prenzlau.

Nie hätte er geahnt, dass ein Virus dieses Werk sabotieren würde. Die Corona- Pandemie unterbrach jäh die 480-jährige Chortradition des Gymnasiums. Das Ehemaligenreffen und das bereits geplante Festkonzert zum 30-jährigen Bestehen des Jugendchores blieben 2020 nur ein Traum. Schlimmer noch. Drei Jahre Corona-Beschränkungen brachten die Nachwuchs- und Jugendchorarbeit in drei Jahrgängen zum Erliegen. Dem Chor gingen die Mitglieder aus, drei Abiturjahrgänge verabschiedeten sich.

Darüber hinaus scheiterte in dieser Zeit der hervorragende Ansatz, mit einem 2019 neu ins Leben gerufenen „Seminarkurs Chor“, die Chorarbeit wieder in den Unterricht bis zum Abitur zu integrieren. „Parallel zum Jugendchor hätte dort eine neue Gruppe heranwachsender Choristen etabliert werden können. Doch der erste gemeinsame, sehr gelungene Auftritt von Jugendchor und Seminarkurs zum Weihnachtskonzert 2019 blieb der letzte“, erinnert sich Bischof traurig an die Zeit, als das Singen in Gruppen untersagt wurde. Nur ein lang gehegter Wunsch ging 2019 noch in Erfüllung: Zum Weihnachtskonzert gab der Lehrerchor „Die Pauker“ einen erfolgreichen Einstand. Rund 15 Lehrkräfte singen jetzt unter seiner Leitung in dem neuen Ensemble.

Für den 66-Jährigen wird es Zeit für einen weiteren Lebensabschnitt. „Ich denke, jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt für ‚frisches Blut‘ in der Jugendchorarbeit, für einen Neuanfang ohne mich als Opa“, lächelt Bischof. Er freut sich über die Bemühungen am Gymnasium, mit dem aktuellen Schuljahr einen neuen Jugendchor aufzubauen.

Vorerst handele es sich zwar um bescheidene Anfänge, erklärt Jörg Dittberner dem Uckermark Kurier. Carsten Schlottke und Uli Stornowski seien mit Leidenschaft dabei, Siebtklässler ans gemeinsame Singen heranzuführen. Doch der Chor soll sukzessive mit den nächsten Jahrgängen wachsen. So könnte es in zwei oder drei Jahren am Gymnasium wieder einen Jugendchor geben, meint Dittberner. Diese Nachwuchsarbeit habe hohen Stellenwert im Kollegium, um an eine bemerkenswerte, erfolgreiche Tradition anschließen zu können.

Jürgen Bischof ist auch Künstlerischer Leiter des Uckermärkischen Konzertchores Prenzlau.