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Dienstältester Musikschuldirektor Deutschlands kommt aus Prenzlau

Märkische Oderzeitung vom 01.09.2020

Von Oliver Schwers

Jürgen Bischof hat vor genau 40 Jahren die Musikschule in Prenzlau übernommen und ist damit der deutschlandweit am längsten amtierende Leiter. Jetzt feiert er ein einzigartiges Jubiläum.

Jürgen Bischof, Chef der Kreismusikschule Uckermark, in seinem Büro in Prenzlau. (Foto: Oliver Schwers)

Jürgen Bischof, Chef der Kreismusikschule Uckermark, in seinem Büro in Prenzlau. (Foto: Oliver Schwers)

Er hat das amtlich prüfen lassen und es soll stimmen: Der dienstälteste Direktor einer öffentlichen Musikschule in Deutschland kommt aus der Uckermark. Jürgen Bischof, geboren 1956 in Erfurt, könnte sich diesen Titel an die Wand heften, wenn dort noch Platz wäre. In seinem kleinen Direktorenzimmer in Prenzlau, das winziger ist als jeder Vorflur in der benachbarten Kreisverwaltung, stapeln sich Noten, Bücher, Instrumente, Akten, Urkunden und alles, was ein Mann mit Sammelleidenschaft in einem Arbeitsleben zusammengetragen hat.

Vier Jahrzehnte lang hat Jürgen Bischof dazu beigetragen, dass sich Menschen aller Altersgruppen über den eigentlichen Unterricht hinaus an die Musik heranwagten. Er hat Talente gefördert, Chöre gegründet und unzählige Konzerte dirigiert. Sein Leben verläuft zwischen den Noten.

Die „Karriere“ beginnt exakt am 1. August 1978 mit seiner Delegierung nach dem Weimarer Studium für Gesangspädagogik, Chor und Ensemble-Leitung. Der Absolvent darf sich zwischen Eisenhüttenstadt und Prenzlau entscheiden. Er wählt die bessere Bahnverbindung. Doch als er nach der Ankunft die dortige Musikschule sucht, ahnt er, was auf ihn zukommt. Der damalige Direktor sitzt in einem Verschlag hinter einem dicken Vorhang in einem alten Kino-Gebäude. Einer der ersten Sätze von ihm lautet: „Herr Bischof, es wäre schön, wenn sie bleiben.“ Die Vorgänger suchten vorzeitig ihr Heil in der Flucht. Obwohl Prenzlau die erste nach dem Krieg neu gegründete Musikschule in Brandenburg hat (Januar 1953), sind die Bedingungen für die Talenteförderung alles andere als rosig. Der Arbeitstag eines hochmotivierten Junglehrers beginnt mit dem Heizen eines Kachelofens in den alten Kasernengebäuden. Warm wird es trotzdem nicht. Der Unterricht im Kulturhaus wird begleitet von Regentropfen, die durch die Decke in einen Eimer am Boden fallen. Wenn es gar zu kalt wird, sitzen Lehrer und Schüler in Wintersachen beieinander.

Dies setzt sich privat fort. Der Wohnungsmangel ist so akut, dass Jürgen Bischof ein Verschlag mit teilweise fließendem Wasser und Plumpsklo zugeteilt wird. Durch die Fenster zieht das Wetter. Und so gibt auch der Neue nach einem Jahr frustriert auf, fährt nach Erfurt und bleibt einfach dort. Ein unglaubliches Vorkommnis in der DDR. Nun bemühen sich die „örtlichen Organe“ eiligst, Abhilfe zu schaffen. Denn der amtierende Musikschuldirektor will in den Ruhestand gehen und Bischof ist für die Nachfolge vorgesehen. Schließlich geschieht das Wunder: Der Musiker bekommt ein besseres Zimmer und später sogar eine kleine Zwei-Raum-Wohnung. Und das als Alleinstehender. Der Neid der schlecht untergebrachten Nachbarn ist ihm sicher, doch diese Entscheidung ist der Grundstein für sein Durchhalten für die folgenden vier Jahrzehnte, für Familie und Kinder.

Am 1. September 1980 übernimmt Jürgen Bischof als damals jüngster Musikschuldirektor der DDR die Prenzlauer Einrichtung. Er ist Hausmeister, Dienstvorgesetzter, Organisator und Lehrer in einer Person. Das fachlich versierte Kollegium besteht aus Haupt- und Teilzeitkräften. Vorwiegend Kinder nutzen die Einrichtung. Instrumente werden gestellt. Die Gebühren sind verschwindend. Der Chef leitet eine FDJ-Vokal- und Instrumentalgruppe, die sogar im sozialistischen Ausland gastiert.

An seiner Wand hängt heute noch eine Ernennungsurkunde, ausgestellt im Oktober 1991. Da muss er sich wie alle Leiter von früheren DDR-Einrichtungen der Vertrauensfrage unterziehen. Die Mehrheit der Kollegen will ihn behalten. Doch die kommenden Jahre werden schwer. Mit der Kreisreform folgt die Zusammenführung der drei Musikschulen Prenzlau, Angermünde und Templin. Nur Schwedt bleibt eigenständig. Jürgen Bischof bewirbt sich um den ausgeschriebenen Direktorenposten und bekommt ihn. Der quirlige schlanke Mann, stets mit einem flotten Spruch unterwegs, arbeitet gern selbstständig, verwirklicht seine Vorstellungen. Und er bekommt plötzlich die Chance seines Lebens, als er parallel auch noch zum Intendanten des Preußischen Kammerorchesters berufen wird.

„Kulturelle Machtfülle“

Die Personalunion, die von mancher Seite bis heute mit Skepsis betrachtet wird, bürdet ihm ein enormes Arbeitspensum auf. „Aber ich habe alle Synergien nutzen können“, sagt er. Die Kombination aus Orchester, Chören und Musikschule ist einmalig. Er muss niemanden fragen, wenn er ausgefallene Konzerte und Auftritte zusammenstellt. „Viele meinen, es ist eine kulturelle Machtfülle. Aber für mich war die Aufgabe immer spannend. Ich konnte gestalten.“

Dann plötzlich der Tiefpunkt. Quasi über Nacht wird Jürgen Bischof zur „Unperson“ in Brandenburg, zum heftig kritisierten „Kulturvernichter“. Weil die Uckermark unter akuter Schuldennot leidet, entlässt der Landkreis alle hauptamtlichen Lehrkräfte der Kreismusikschule. Zeitgleich beendet der Kreis die Trägerschaft über das Orchester, stellt aber immerhin noch 500.000 Euro jährlich zur Verfügung. Es wird deutlich abgespeckt und in der eigens geschaffenen Kulturagentur neu gegründet. Diese Zeit bezeichnet der Leiter beider Einrichtungen heute als „Lehrstunde für menschliche Abgründe“. Die Entlassungen, die öffentliche Kritik wiegen schwer. „Ich hätte auch zurücktreten können, hat man mir vorgeworfen. Aber was hätte das gebracht?“ Der Fortbestand der Musikschule allein auf Honorarbasis „war eine Fehlentscheidung“, sagt Bischof. „Man braucht Hauptamtler, auch wenn die Kinder von all den Dingen wenig mitbekommen haben.“ Und so entsteht in der Folge eine ganz einmalige Musikschullandschaft in der Uckermark. Da die eigenständige Musik- und Kunstschule von Schwedt, im benachbarten Angermünde gründet sich die hochengagierte Vereinsmusikschule von Redern und im Raum Prenzlau und Templin dominiert die Kreismusikschule Uckermark, die zudem weiter eine Außenstelle in Angermünde betreibt.

Inzwischen ist der Kreis bemüht, die alten Wunden zu heilen, stellt wieder Lehrer ein. Die Finanzen für Orchester und Musikschule sind sicherer als je zuvor. „Ich freue mich, dass wir jetzt eine Administration im Kreis haben, bei der die Kultur einen anderen Stellenwert besitzt.“


Mitbegründer der Chorarbeit

1990 war Jürgen Bischof Mitbegründer des heutigen Jugendchores am Prenzlauer Gymnasium. Der gastierte mit eigenständigen Programmen in Frankreich, Polen, in der Schweiz und Russland. Seit 2019/20 gibt es am Gymnasium das Unterrichtsfach Chorsingen mit Abitur-Relevanz. Ebenfalls 1990 übernahm Bischof den in Auflösung befindlichen Uckermärkischen Volkschor Prenzlau, der später als Uckermärkischer Konzertchor an die Öffentlichkeit trat. 2004 wurde Jürgen Bischof Mitbegründer und Leiter des Kammerchores Prenzlau an der Kreismusikschule, der bei den Uckermärkischen Musikwochen gastierte und sich an CD-Produktionen beteiligt.

Jürgen Bischof ist Musikalischer Leiter des Uckermärkischen Konzertchores Prenzlau.