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Linken-Fraktionschef spielt den Nazi

Prenzlauer Zeitung vom 18./19.03.2023

Die rabenschwarze Musical- Komödie „Adams Äpfel“ erlebt am 18. März ihre Uraufführung an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt (ubs). Gleichzeitig „feiert“ Axel Krumrey (40), Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Kreistag, seine Premiere auf der Bühne als „Nazi“ in Springerstiefeln und mit einem Baseballschläger in der Hand. Unser Redaktionsleiter Heiko Schulze sprach mit ihm über diese besondere Herausforderung.

Axel Krumrey (dritter von rechts) mit Baseballschläger und in Bomberjacke während einer Szene aus „Adams Äpfel“. (Foto: Udo Krause)

Axel Krumrey (dritter von rechts) mit Baseballschläger und in Bomberjacke während einer Szene aus „Adams Äpfel“. (Foto: Udo Krause)

Herr Krumrey, Sie sind bekannt als Fraktionschef der Partei Die Linke im Kreistag Uckermark, arbeiten hauptamtlich in der Ihrer Partei nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin und ehrenamtlich als Bürgermeister der Gemeinde Randowtal. Wie kommt es, dass man Sie jetzt ab 18. März bis 14. Mai als „Nazi“ erleben kann?

Seit 1998 singe ich als Tenor im Uckermärkischen Konzertchor mit. Bis 2003 habe ich auch im Jugendchor am Prenzlauer Gymnasium gesungen und kenne Chorleiter Jürgen Bischof daher gut. Er war in den vergangenen Jahren mehrere Male mit Projektchören an Produktionen der Uckermärkischen Bühnen Schwedt beteiligt. Als er mir von dem neuen Projekt „Adams Äpfel“ erzählte, interessierte mich das Stück ebenso wie die Herausforderung, an einer Theaterproduktion mitzuwirken. So sagte ich spontan zu.

War es Ihnen von vornherein klar, dass Sie dabei in die Rolle eines Nazis, ausgestattet mit Baseballschläger, weiß geschnürten Springerstiefeln und Bomberjacke, schlüpfen würden?

Nein. Als sich dieses abzeichnete, hatte ich schon einen Moment geschluckt. Ich selbst hatte zuvor nie, auch nicht in meiner Jugendzeit, eine Bomberjacke oder Springerstiefel getragen. Als Laiendarsteller eine Rolle zu verkörpern, die so gänzlich meinen persönlichen Ansichten und Werten konträr gegenübersteht, ist eine spannende Herausforderung. Schmunzeln musste ich übrigens, weil auf dem Baseballschläger „made in China“ steht.

Wie fühlt es sich an, mit Springerstiefeln und Baseballschläger ausgestattet die Bühne zu betreten?

Es gibt ja das Sprichwort „Kleider machen Leute“ – und so ist es irgendwie auch. Man geht damit anders, fühlt sich dabei anders, und man wird vor allem von Personen in der Umgebung ganz anders wahrgenommen. Sie schrecken zurück, sind angespannt, wenn ich als „Nazi“, den ich in diesem Moment verkörpere, vor ihnen stehe oder auf sie zugehe.

Was ist Ihre Rolle in diesem Stück?

Neonazi Adam, die Hauptfigur in dieser rabenschwarzen Komödie, wird von einem Pfarrer mit teilweise skurrilen Methoden resozialisiert. Beispielsweise, indem er als Ziel für sich definieren soll, einen Apfelkuchen zu backen. Ich spiele ein Mitglied seiner alten Gang, das sich über diese Wandlungen Adams verächtlich äußert. Dabei gehören auch Worte wie „Bananenfresser“ zu meinem Text, die mir nur echt schwer über die Lippen kommen.

Gab es bei den Proben Situationen, in denen Sie vor sich selbst erschrocken sind?

Man bewahrt sich eine professionelle Distanz zu seiner Rolle. Ich singe ja als Atheist auch in Kirchen. Doch klar, diese ungewohnte Herausforderung lässt mich noch einmal intensiv darüber nachdenken, was Gruppendynamik auslösen kann. Beispielsweise bei Menschen, die sonst wenig Gehör finden, keine wirkliche Perspektive und Bedeutung in ihrem bisherigen Leben erfahren haben, vielleicht einsam sind. Ausgestattet mit Stiefeln, Bomberjacke und Baseballschläger stellen sie plötzlich jemanden dar, gehören irgendwie dazu, gewinnen Macht durch Angst, die sie bei anderen auslösen. Sie täuschen sich so über ihre innere Leere, erlebte Enttäuschungen und Bedeutungslosigkeit hinweg, vor der sie selbst sich fürchten. Das kann sie zu Handlungen treiben, zu denen sie als Einzelperson wahrscheinlich nie fähig gewesen wären.

In meinem Studium der Politikwissenschaft habe ich mich mit Rechtsextremismus und diversen Dynamiken, speziell am Beispiel der NPD in Sachsen, intensiv auseinandergesetzt. Diese jetzt selbst in solch einer Bühnenrolle zu verkörpern, ist noch einmal eine ganz eigene Erfahrung.

Axel Krumrey (Foto: NK/Archiv)

Axel Krumrey (Foto: NK/Archiv)

Wie würden Sie, Axel Krumrey, auf den Nazi, den Sie im Stück „Adams Äpfel“ verkörpern, in der Realität reagieren, wenn er Ihnen plötzlich gegenübersteht?

Schwierige Frage. Wenn ich ihn nicht weiter kennen würde, würde ich ihm in einem ersten Reflex aus dem Weg gehen. Aber wenn ich Ansatzpunkte für ein Gespräch sehe, würde ich mehr über ihn, seinen Lebensverlauf, seine Gedanken erfahren wollen. Es ist ja auch die Hoffnung des Stückes „Adams Äpfel“, dass sich Extremisten aus ideologischen Verwirrungen zurückholen lassen in ein Leben, das nicht immer einfach und gerecht ist, das aber unser Menschsein ausmacht.

Das funktioniert auf der Bühne nach Drehbuch, aber im wahren Leben?

Die Spaltungen und Blockaden in unserer Gesellschaft, davon bin ich überzeugt, lassen sich nur dadurch lösen, indem wir unsere gegenseitige Sprachlosigkeit überwinden, einander zuhören. Vielleicht finden sich dabei gemeinsame Nenner, um zusammen an Lösungen zu arbeiten. Nur den Finger in Wunden zu bohren und selbst zur Heilung nichts Substanzielles beizutragen, das scheint für den Moment ein Ventil zu sein, hilft uns aber nicht wirklich. Nicht einmal jenen, die bohren.

Als Bürgermeister für drei Ortsteile mit sechs Dörfern halte ich viel von der Stärkung des Vereinslebens und der Zivilgesellschaft. Darin finden Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen mit völlig individuellen Erfahrungen, Lebensverläufen zusammen, die sich dennoch auf gemeinsame Ziele verständigen können. Ob im Sport-, Kultur-, Angler- oder Karnevalsverein. Das macht doch unseren Zusammenhalt aus. Vor einer Woche durfte ich die Frauentagsfeier im proppenvollen Gemeindesaal in Schmölln eröffnen, organisiert vom „Kuhstall- Verein“ in Eickstedt. Dort trafen sich Menschen im Alter zwischen 16 und 92 bis weit nach Mitternacht, um gemeinsam zu feiern, zu erzählen. Solche Erlebnisse machen mir persönlich Mut, dass wir auch im wirklichen Leben die „Adams“ unserer Gesellschaft erreichen können. Es muss ja nicht nur – wie im Theaterstück – zum Backen eines Apfelkuchens sein.