Märkische Oderzeitung vom 04.10.2016
Verrückt und verrockt: „Figarokomplott“ an den Uckermärkischen Bühnen
„Amore mio – Das Figarokomplott“ ist die beste Musical-Aufführung, die Reinhard Simon bisher auf die Schwedter Bühnen gebracht hat – verrückt, verrockt, verdammt gut! Dieses Stück rund um die Entstehung der Oper „Hochzeit des Figaro“ ist ein gewagter, aber gelungener Parforceritt durch die Welt- und Musikgeschichte zwischen Rokokostil der Wiener Klassik und Goldrausch in Amerika, zwischen Oper, Rock und Musical.
Von Dietmar Rietz
Schwedt/Oder. Am Sonnabend ging die Uraufführung in Schwedt über die Bühne. Das Publikum flippte beim Finale nahezu aus, fühlte Schmetterlinge im Bauch, applaudierte stehend bis die Zugaben kamen.
Regisseur und Mittexter Reinhard Simon lässt mit einem im Vergleich zum Hausensemble mehr als verdoppelten Schauspieler-, Tänzer- und Sängeraufgebot im New York des Jahres 1825, in Venedig und Wien die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des italienischen Dichters und berühmte Opernlibrettisten Lorenzo da Ponte erzählen. Inmitten teilweise kinoreifer Bühnenbilder und Szenenwechsel, aufgepeppt mit Videoprojektionen. Getragen von einem gewagten Musik-Mix aus klassischer Musik in neuem Gewand bis hin zu den großen Hits von Johnny Cash und Whitney Houston.
Freigeist Da Ponte musste wegen seines liederlich-aufrührerischen Lebenswandels aus Italien fliehen und lässt seine Geliebte Annetta zurück. Sein Freund Casanova (Conrad Waligura – extravagant!) vermittelt ihn in die damalige Kulturhochburg Wien und verschafft ihm eine Stelle am Hofburgtheater. An der Donau regiert der weltoffene Kaisers Josef II.
Da Ponte überredet den völlig durchgeknallten Jung-Komponisten Mozart, aus einem Skandalstoff eine Oper zu machen. Es ist „Der tolle Tag“ von Beaumarchais. Die beiden schmieden das „Figaro-Komplott“, tricksen den Kaiser aus und umschiffen so dessen Aufführungsverbot. „Die Hochzeit des Figaro“ kommt auf die Bühne.
Als Schauspieler, Komödiant, Sänger, Trommler brilliert Michael Kuczynski in der Paraderolle als genial verrückter Mozart. Uwe Schmiedel steht ihm als Kaiser leichtfüßig und – züngig spielend und den Wiener Schmäh beherrschend kaum nach. Susanne von Lonskis gelungene Rückkehr auf die große Schwedter Bühne als Annetta hätte beeindruckender ausfallen können. Dafür aber war Simon Mehlich als Darsteller des jungen Da Ponte zu sehr auf einem Ego-Trip. Anstatt sich mit ihr als Bühnenpartnerin in den Musical-Himmel zu singen und zu spielen, verpasste er es zu oft, Gefühle zu spielen statt sie nur zu singen oder zu sprechen.
Da war das Zusammenspiel von Daniel Heinz als Da Ponte senior und des ausgezeichnet aufgelegten Neuzugangs Katarzyna Kunicka als Susan Mayer von deutlich besserem Format. Katarzyna Kunicka sang auf das Schwedter Publikum beeindruckende Weise. Larissa Kristina Puhlmann als Opernsängerin La Ferrarese und Natalia Brodzinska als deren Konkurrentin Cavalierie lieferten sich einen hörens- und sehenswerten Divenkrieg.
Neben dem choreografisch, musikalisch und optisch ausgefallenem finalen Auftritt der Schauspieler als Trommler und der Minuten-Einführung in den neuen „Figaro“ für den Kaiser wird eine meisterliche Szene lange im Gedächtnis haften bleiben: die Schwedter Interpretation des Liedes „Die Gedanken sind frei“ (alle Choreografien Eliza Holubowska).
Die rauschende Ausstattungsorgie ist Frauke Bischinger zu verdanken. Dass der Musical-Klipper nicht an den Klippen des Cross-over-Musicals zerschellte, sondern alle Zeit- und Stilkurven kriegte, dafür sorgten auch Uli Herrmann-Schroedter (musikalische Leitung ) und Tilman Hintze (musikalische Einstudierung) und Andreas van den Brandt (Einstudierungen).
Aufführungen: 14., 15., Oktober, jeweils 19.30 Uhr, Uckermärkische Bühnen Schwedt. Tickettelefon: 03332 538111
Uckermarkkurier vom 05.10.2016
„Figaro -Komplott“ setzt neue Musical-Maßstäbe in Schwedt
Mit dem neuen Stück jagen die Schwedter Bühnen ihre Besucher durch die Welt – wie die Musikgeschichte.
Von Matthias Bruck
Schwedt/Oder. Was die Uckermärkischen Bühnen Schwedt (ubs) mit ihrem Cross-Over-Musical auf die Bühne zauberten, dürfte neue Maßstäbe für das Musical in diesem Hause setzen. Die Uraufführung des „Figaro-Komplott“ geriet zu einem umjubelten Theaterereignis, an dessen Ende es über eine Viertelstunde stehende Ovationen gab. So gut waren die Schwedter Bühnen in dieser Sparte seit Langem nicht.
Schon die Wahl des Stoffes war ein Glücksfall. Diesmal entnahm das Autorenteam um ubs-Intendant Reinhard Simon (Jan Kirsten, Maren Rögner, Max Beinemann, Uli Herrmann-Schroedter) ihren Plot der nachweisbaren Historie: Sie brachten die Lebensgeschichte des Mozart-Librettisten Lorenzo da Ponte auf die Bühne, aus dessen Feder der Text zur „Hochzeit des Figaro“ geflossen war. Regisseur Simon gelingt es, mit einem musikalisch wie schauspielerisch hochkarätigem Ensemble, das zudem von polnischen Tänzern und dem Uckermärkischen Konzertchor unterstützt wird, die komplexe Handlung in wuchtige Bilder zu übersetzen. Für die Musik ist die Band Takayo verantwortlich, die vor allem in den Klassik-Parts von weiteren Musikern untersttitzt wird.
Die üppige Opulenz der Kostümierung korrespondiert mit zumeist aus Videoinstallationen geschaffenen Bühnenbildern, die mühelos die Zeitsprünge von der Wiener Klassik in die Welt des aufbrechenden jungen Amerika nachvollziehen lassen. Zudem strotzt das Stück von hintersinnigen Regieeinfällen, die die Aussageabsicht befördern: wenn beim Lied des Lorenzo über die Liebe als wichtigster Lebenssinn ein Denkmal zweier Liebender zum Leben erweckt, die dem Lied in pantomimisch-tänzerischer Kraft zusätzlichen Ausdruck verleihen.
Freilich scheut sich der Regisseur nicht, Anleihen bei Anderen zu nehmen. Wolfgang Amadeus Mozart (überragend gespielt von Michael Kuczynski) scheint wie aus dem Milos-Forman-Film „Amadeus“ herausgeschnitten: Ein durchgeknallter, den Weibern hinterherjagender Popstar, dessen irres infantiles Lachen durch Mark und Bein fährt. Ein Kabinettstück liefert auch Uwe Schmiedel als Kaiser Joseph II., ein ebenso kunst- wie selbstverliebter Monarch, dessen Geisteskraft angezweifelt werden darf.
Die Zuschauer erleben Comedy, große Oper, Gassenhauer, Steptänze, Ballett und im großen Finale wird sogar kraftvoll getrommelt. Die Musik reicht von Bach bis Whitney Houston. So crossover die Handlung über die Epochen hinwegeilt, so crossover folgt ihr die Musik. Man wäre geneigt zu sagen, hier hat ganz großes Kino stattgefunden, wenn man nicht im Theater gewesen wäre.
Die nächsten Aufführungen sind am 14., 15. und 16. Oktober 2016.
Märkische Oderzeitung vom 29.09.2016
Chorsänger als Hofschranzen
Aufgeregt sind 15 Chorsänger aus Prenzlau: Beim neuen Musical „Amore mio“ stehen sie auf der Bühne des Schwedter Theaters. Doch sie lassen nicht nur ihre Stimmen hören, sondern spielen sogar mit. Mit Begeisterung haben sie schon Wochen vorher geprobt.
Von Oliver Schwers
Schwedt (Oder) / Prenzlau. Höfische Intrigen, herzzerreißende Gefühle, zickige Diven und gelebte Leidenschaft – so verspricht es die Vorankündigung des am 1. Oktober startenden neuen Musicals „Amore mio“. Es klingt also nach allerhand guter Laune. Und die machte sich bei 15 Sängern aus Prenzlau schon im Vorfeld der Premiere breit. „Mit den Bühnenleuten kann man hervorragend zusammenarbeiten. Es macht Spaß“, so das Urteil von Jürgen Bischof. Der Chef der Uckermärkischen Kulturagentur und Leiter von drei Chören aus Prenzlau hat sich von der Begeisterung seiner Sänger anstecken lassen. Und die sind diesmal nicht nur wie sonst bei ihren Auftritten zu hören, sondern sie stecken auch in Kostümen und spielen mit.
Das ist neu. Ganz ohne Noten vor den Augen und vor allem ohne Taktstock des Dirigenten ist die Sache auch eine fachliche Herausforderung. Denn die Qualität der vorgetragenen klassischen Musik darf ja nicht darunter leiden. „Ich musste also Leute finden, die zeitlich und musikalisch in der Lage sind, das umzusetzen“, erzählt Bischof. Seit Juni laufen die Proben mit 15 Sängern aus drei Ensembles – dem Uckermärkischen Konzertchor, dem Jugendchor des Prenzlauer Gymnasiums und dem Kammerchor.
Auf die Bühne kamen die Chorsänger durch langjährige Verbindungen zwischen dem Schwedter Theater und dem Chef der Kulturagentur, zu der auch das Preußische Kammerorchester gehört. Bevor der Intendant der Uckermärkischen Bühnen in den Ruhestand geht, wollte man doch noch mal was gemeinsam machen, sagte sich Jürgen Bischof schon vor einem Jahr. Jetzt schlüpfen die Sänger in verschiedene Kostüme, müssen ihren Text und die Musik kennen und gleichzeitig auf ihren Einsatz achten. „Wir müssen uns im Gegensatz zu unseren sonstigen Auftritten bewegen“, so Bischof. „Es gibt eine Szene, da sind wir Hofschranzen und kommen hinter Wänden her, gewissermaßen als sprechende Tapeten, die das Geschehen kommentieren – das finde ich sehr gelungen.“ Maske und Kostüme machen es schwer, die einzelnen Sänger wiederzuerkennen. Auch Bischof schlüpft in seine Rolle. „Ich erlebe an den Bühnen eine sehr gute Zusammenarbeit, man kann über Veränderungen sprechen, Dinge einfließen lassen, wenn etwas nicht gefällt. Die Bühnenleute sind äußerst flexibel.“
Für die Chorsänger wie auch für die Uckermärkischen Bühnen ist die Verbindung von beiderseitigem Vorteil, signalisieren sie doch eine künstlerische Unterstützung innerhalb des Landkreises. Für Jürgen Bischof hat die Premiere auch noch eine symbolische Bedeutung, findet sie doch am Weltmusiktag statt.
„Amore mio – Das Figarokomplott“, Musical der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, Uraufführung am 1. Oktober, 19.30 Uhr, Großer Saal.