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Mit 66 ist lange nicht Schluss

Prenzlauer Zeitung vom 23.08.2022

Von Monika Strehlow

So manches „Zipperlein“ registrierte Jürgen Bischof schon, bevor er seinen Posten als Direktor der Kreismusikschule an den Nagel hängte. Doch sich ganz in den Ruhestand zu verabschieden, das kommt für ihn nicht infrage, und so kommt ein Projekt nach dem anderen hinzu.

Jürgen Bischof (Foto: Monika Strehlow)

Jürgen Bischof (Foto: Monika Strehlow)

Uckermark. Wer kennt nicht den Ohrwurm von Udo Jürgens, der 1977 erstmals auf einer Singleauskopplung „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ trällerte? Die Hymne auf das neue Leben im Rentenalter dürfte damals den Studenten der Weimarer Musikhochschule „Franz Liszt“ Jürgen Bischof kaum berührt haben. Ein Jahr später begann der geborene Thüringer mit dem Diplom und Staatsexamen in der Tasche seinen Berufsweg in der Prenzlauer Musikschule. Und Schlager gehörten wohl weniger zu seinem Alltag. Von den Adoptiveltern ist ihm schon früh die Liebe zur Welt der klassischen Musik ans Herz gelegt worden. Als Mitglied der Dresdner Kapellknaben an der Katholischen Hofkirche der Elbmetropole durfte er dort sogar auf der weltberühmten Silbermannorgel spielen. Erst vor Kurzem hatte er bei einem Ehemaligentreffen wieder dieses unbeschreibliche, sein Herz öffnende Erlebnis, das grandiose Instrument zum Klingen zu bringen. Noch heute lobt Jürgen Bischof die Erlebnisse und umfassende Ausbildung im Chor und Internat.

Aus dem kleinen Kapellknaben wurde ein gestandener Musikpädagoge, Kulturmanager, Intendant, Direktor und Chorleiter. Der Mann ist im hiesigen gesellschaftlichen Leben allseits bekannt. Seit Jahrzehnten sorgt er an entscheidenden Stellen dafür, dass in der Uckermark der Musikausbildung, dem Musizieren und dem Konzertleben nicht nur die Puste nicht ausgeht, sondern alles zusammen auch auf einem anerkannt hohen Niveau gestaltet wird. Und das in Personalunion für gleich mehrere Einrichtungen. Seit 1996 steht er dem Preußischen Kammerorchester als Intendant sowie seit 2004 als Geschäftsführender Direktor der Uckermärkischen Kulturagentur vor. Jahre zuvor schon formte er aus dem ehemaligen Singeklub der Prenzlauer Erweiterten Oberschule (EOS) die Vokal- und Instrumentalgruppe „ad libitum“, auf deren Grundlage er nach 1990 den Jugendchor des Prenzlauer Gymnasiums aufbaute und bis zum Corona- Ausbruch leitete. Zudem übernahm er zu Wendezeiten den Uckermärkischen Volkschor, der sich seit dem 25. März 1991 Uckermärkischer Konzertchor nennt und nicht mehr aus dem regionalen Musikleben wegzudenken ist. 2004 dann gründete er unter dem Dach der Kreismusikschule den Prenzlauer Kammerchor und ist seitdem dessen künstlerischer Leiter. Während dieser Zeit gastierte Bischof mit seinen Ensembles immerhin in acht europäischen Ländern.

Bis zum Rand gefüllte Jahre vergingen mit Höhen und Tiefen wie im Flug. In wenigen Wochen feiert der rastlose Musiker und Kulturmanager seinen 66. Geburtstag. Vielleicht wird dann Udo Jürgens Hit für ihn erklingen? Denn die Hände wird Bischof nicht in den Schoß legen. Auch wenn er jüngst mit der Kreismusikschule Uckermark das erste seiner geliebten Lebensprojekte losließ. Dabei wollte er 1978, als frisch gebackene Musikschullehrer, eigentlich nicht länger als die drei Pflichtjahre bleiben, die ihm von der DDR-Absolventenlenkung auferlegt worden waren. Unter denkbar schlechten Rahmenbedingungen musste er beginnen – die großflächigen Kriegszerstörungen Prenzlaus waren noch allgegenwärtig, Wohnraum gab es für junge Leute kaum, die bescheidenen Schulräume für den Musikunterricht waren überwiegend unwürdig. Und die geliebte Thüringer Heimat lag weit weg. Trotzdem blieb er. „Die Aufgaben damals waren vielschichtig und interessant. Man wurde gebraucht“, erinnert er sich.

Dennoch: Erst 1994 erfüllte sich für ihn mit dem Einzug der Musikschule in ein eigenes Gebäude in Prenzlau ein damals wohl verwegener Traum. Sein Vorgänger Wilhelm Stein hatte den jungen Mann beim Ehrgeiz gepackt und sorgte dafür, dass Bischof 1980 mit 24 Jahren der jüngste Musikschulleiter Ostdeutschlands wurde. Erst 42 Jahre später, im April 2022, übergab er den Staffelstab an seine Nachfolgerin Sylvia Müller, der Uckermark Kurier berichtete. Heute kann sich Bischof rühmen, nun auch als dienstältester Direktor einer öffentlichen Musikschule Deutschlands in die Chronik einzugehen.

Den Abschied von dieser Wirkungsstätte bereut er nicht. Nicht etwa, weil er aufs Rentenalter gewartet hätte. „Nein, dafür habe ich noch zu viel vor. Der Ruhestand interessiert mich nicht, denn Musik kennt keine Altersgrenze“, sagt er lächelnd. Im Gegenteil. Mit der tariflichen Festlegung, ab Beginn der Regelaltersrente den öffentlichen Dienst zu quittieren, sei ihm eine Entscheidung abgenommen worden. Familie und Freunde hatten ihm schon länger geraten, kürzer zu treten. Und so manches „Zipperlein“, wie er sagt, mahnte ihn an Grenzen. „Doch was sollte ich aufgeben? Erst musste die Nachfolge gesichert sein“, zeigt er sich zuversichtlich, die Kreismusikschule in kompetente Hände gelegt zu haben. Nun gibt ihm dieser Abschied die Möglichkeit, sich endlich stärker einem Projekt zu widmen, für das er seit Jahren zu wenig Zeit findet: sein Buch über das Musikleben in Prenzlau und der Region. Noch weiß er nicht, wann er den Schlusspunkt setzen wird. Zu viele aktuelle Ereignisse und Erlebnisse seien noch nicht notiert, meint er.

Natürlich werden ihn seine anderen Aufgaben weiterhin fordern. So will der Gesellschafter der Uckermärkischen Kulturagentur gGmbH vorerst nicht auf ihren Direktor verzichten, und auch die Musiker des Preußenorchesters vertrauen auf ihren langjährigen „Chef“. Ebenso wie die Mitglieder des Uckermärkischen Konzertchores oder des Konzert- und Kammerchores Prenzlau. Immerhin gelang es ihm, sie durch eine Pandemie zu führen, an der andere Künstler und Einrichtungen scheiterten. Doch er hat nicht aufgegeben, Pläne zu schmieden. So sind inzwischen die Terminpläne wieder prall gefüllt, neue Projekte fest eingeplant. Dafür wachsen nun die Sorgen, ob die Konzertgänger vor dem Hintergrund der Inflation und des Krieges in der Ukraine dem Orchester treu bleiben können.

Zu gern sähe Jürgen Bischof das Preußische Kammerorchester wieder in einer eigenen Spielstätte. Nach 1990 hatte die „Kleine Melodie“ an der Uckerpromenade mit Proben- und Konzertraum, Verwaltungstrakt und sogar Gastronomie dem Orchester eine Heimat gegeben. Unter unglücklichen Umständen musste dieser Sitz aufgegeben werden. Nachdem es dann in dem Gebäude gebrannt hatte, lag es über Jahre verlassen und wurde 2010 von der Stadt Prenzlau erworben. Mit Blick auf die Landesgartenschau 2013 ist es schließlich abgerissen worden, das Grundstück gehört heute zum Seepark. Die Hoffnung auf ein eigenes Haus für das Preußische Kammerorchester gibt Jürgen Bischof dennoch nicht auf. Ebenso wenig wie die Hoffnung auf ein Ende des Krieges, der alle langjährigen Verbindungen nach Russland abbrach. Seit 2013 leitete Jürgen Bischof dort regelmäßig Seminare zur deutschen Chormusik. „Eine ganz wundervolle und mich prägende Aufgabe“, sagt der Chorleiter. Erst hatte der Corona-Ausbruch diese Arbeit unterbrochen. Mit Beginn des Krieges wurden dann alle offiziellen Kontakte abgebrochen.

(Jürgen Bischof ist unter anderem Musikalischer Leiter des Uckermärkischen Konzertchores Prenzlau.)