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Starke Auftritte trotz stürmischer Zeiten

Prenzlauer Zeitung vom 04.10.2022

Von Monika Strehlow

Jürgen Bischof aus Prenzlau war 1980 der jüngste Musikschuldirektor der DDR und bei seinem Abschied im Juli der dienstälteste einer öffentlichen Musikschule Deutschlands. Zudem hat er unzählige musikalische Ereignisse in seiner Verantwortung gehabt. Wäre es nach der DDR-Bildungsministerin Margot Honecker gegangen, hätte es diesen Weg nie gegeben.

Jürgen Bischof dirigiert im Juni 2021 im Prenzlauer Dominikanerkloster (Foto: Monika Strehlow)

Uckermark. Als Kind war Jürgen Bischof nie verlegen um Weihnachtsgeschenke. Der über die Uckermark hinaus bekannte Kulturmanager gehörte von 1966 bis 1973 zu den Dresdner Kapellknaben an der Hofkirche, deren Tage zwar ausgefüllt waren mit Unterricht, Proben und Auftritten. Doch in der knappen Freizeit konnten sie sich in vielen Gebieten ausprobieren. Als Kind schon begeisterte er sich fürs Handwerkliche und könnte noch immer ein Kupferblech in Form treiben und mit Emaille überziehen. Mit der zeitaufwendigen Technik hatte er sich am Internat gern beschäftigt und bewahrt bis heute einige Stücke auf.

„Wir haben auch gewebt“, meint er und setzt lächelnd hinzu: „Viel lieber aber spielte ich Fußball, meist als Verteidiger oder im Tor. Wenn Not am Mann war, hieß es immer ‚Bischof, mach mal’. Diesen Satz habe ich in meinem Leben immer wieder gehört.“

Kein Wunder, schlummerten doch in dem zarten Knaben viele Talente. Er hatte das Glück, dass ihm an vielen Kreuzungen seines Lebens Menschen den Weg wiesen, die sie erkannten und an ihn glaubten. Angefangen von seinen Erfurter Adoptiveltern Peter und Charlotte Bischof, die den Zweijährigen 1958 als Pflegekind aus einem staatlichen Heim holten, über den damaligen Kaplan an der Erfurter Crucis-Kirche, dem späteren Kardinal Joachim Meisner, bis hin zum Chorleiter der Dresdner Kapellknaben und Domkantor an der Hofkirche, Konrad Wagner. „Als ich ihn kurz vor seinem Tod vor einem Jahr besuchte, hatte er immer noch diese leuchtenden Augen, deren Blick uns als Chor so fesselte. Und trotz seines sehr hohen Alters erinnerte er sich noch genau an die Zeit, in der ich bei ihm lernte“, erinnert sich der Prenzlauer.

Als Jürgen sieben Jahre alt war, durften ihn die Bischofs endlich adoptieren. Heute wundert es ihn, dass ihnen die DDR-Behörden das überhaupt genehmigten. Denn der private Handwerksmeister hielt nicht viel vom sozialistischen Staat, in dem Privateigentum verpönt war und der ihm das Arbeiten schwer machte.

Als Peter und Charlotte Bischof viel zu früh starben, nahm sich ihre Tochter Monika des Bruders an Mutter statt an, als wäre er ihr eigenes Kind. So wurde der Junge in einem behüteten Zuhause groß, das seine Neigungen weckte und förderte. Mit fünf Jahren lernte er Klavier spielen, später auch Orgel. Am Opernhaus Erfurt sang er im Kinderchor und erhielt Tanzunterricht.
Seine Stimme fiel im Gottesdienst Kaplan Joachim Meisner auf, der den Eltern ans Herz legte, den Jungen in Dresden ausbilden zu lassen. Heute erinnert sich der Prenzlauer an Meisner als einen damals fortschrittlichen Menschen, bei dem die Kirche immer bis auf den letzten Platz gefüllt war. „Er wurde dann Weihbischof in Erfurt, später Erzbischof und Kardinal in Berlin, bis er nach Köln ging. Der Kontakt zu ihm hielt noch lange an“, erzählt er.

Im Gegensatz zum Dresdner Kreuzchor hatten die Kapellknaben am Internat keinen Unterricht. Sie besuchten eine staatliche Schule. Da war er mittendrin in der Gratwanderung zwischen persönlichen Anschauungen und staatlichen Zwängen. „Ich war zwar in der FDJ, wie Angela Merkel auch. Aber die Jugendweihe mit einem Gelöbnis auf diesen Staat kam für die Familie nicht infrage.“ Darum habe er nicht studieren dürfen.

„Bildungsministerin Margot Honecker teilte meiner Familie brieflich mit, dass sie hofft, dass ich auch ohne Studium ein guter DDR-Staatsbürger werde. Sie bot in dem Brief eine Ausbildung als Facharbeiter für Fleischzerkleinerung an“, berichtet Jürgen Bischof. Damals war es Prof. Hans Kremers, Leiter der Abteilung Musiktheater/ Gesang an der Weimarer Hochschule für Musik „Franz Liszt“, der die Weichen neu stellte. Er war vom Sologesang des Kapellknaben Bischof beeindruckt und ebnete ihm den Weg zum Studium in Weimar.

1978 dann startete der frisch gebackene Diplom-Musikpädagoge ins Berufsleben. Der einzige Grund, warum er sich bei der DDR-Absolventenlenkung für Prenzlau anstelle von Eisenhüttenstadt entschied, war die direkte Bahnverbindung zwischen Erfurt, Berlin und Prenzlau. Die Wohn- und Unterrichtsbedingungen in dem vom Krieg noch immer gezeichneten Prenzlau waren unwürdig. Doch der Direktor der Musikschule, Wilhelm Stein, konnte den jungen Mann am vorschnellen Aufgeben hindern.

Bereits 1980 legte Stein die Leitung des Hauses in die Hände des Thüringers und machte ihn damit zum jüngsten Musikschuldirektor in der DDR. Jürgen Bischof spürte, dass er gebraucht wurde, gründete seine eigene fünfköpfige Familie und blieb in der Uckermark.

Und immer noch gab es richtungweisende Begegnungen. Zum Beispiel mit Dr. Eberhard Krienke, später bekannter Mundartforscher des uckermärkischen Plattdeutsch: Als stellvertretender Direktor holte er Bischof sofort als Leiter der Arbeitsgemeinschaft Musik an die Erweiterte Oberschule (EOS), später Gymnasium. Dort liegen die Anfänge der Chorarbeit des Musikpädagogen, der aus dem FDJ-Singeklub die Vokal- und Instrumentalgruppe „ad libitum“ formte.

1990 hob er am Gymnasium einen Jugendchor aus der Taufe und übernahm zudem den Uckermärkischen Konzertchor Prenzlau. Oder Dr. Helaman Krause: Der Vizelandrat hatte ihm 1996 die Intendanz des Preußischen Kammerorchesters übertragen. Damit zielte der Landkreis auf Synergien in der Leitung von Kreismusikschule, Chören und professionellem Orchester. 2004 ging das Orchester über in die Trägerschaft der Uckermärkischen Kulturagentur gGmbH, die Bischof seitdem als Geschäftsführender Direktor leitet. Als solcher ist er auch „Spiritus Rektor“ und verantwortlich für namhafte Konzertreihen, wie das Bebersee-Festival oder den Uckermärkischen Orgelfrühling.

Und da ist Eugeniusz Kus, der Stettiner Kulturmanager und ehemalige Direktor am Schloss der Pommerschen Herzöge. Die ersten Begegnungen mit Bischof reichen bis Anfang der 1990er-Jahre zurück. Gemeinsam förderten sie die Tradition des Internationalen Chorfestivals Stettin, pflegten sie in Prenzlau die Karfreitagskonzerte, machten „ihre“ Ensembles in Europa bekannt. Die Brandenburgische Europamedaille 2008 für Eugeniusz Kus und das Ehrendiplom des polnischen Orchester- und Chorverbandes 2016 für Jürgen Bischof zeugen davon. Daraus entstanden 2013 auch Jürgen Bischofs Kontakte als Seminarleiter in Moskau.

Übrigens schämt er sich nicht seines DDR-Ordens „Banner der Arbeit“. 1984 erhielt er ihn nach zwei Konzertreisen mit der Gruppe „ad libitum“ nach Karelien, dem Partnergebiet des ehemaligen Bezirks Neubrandenburg. Es waren für alle beeindruckende Reisen an die finnische Grenze der autonomen Sowjetrepublik, deren Kulturminister persönlich die Gruppe betreute.

„Das war eine andere Zeit, in der wir uns mit den Umständen arrangiert hatten“, meint Jürgen Bischof rückblickend. Ihm war es wichtig, unter allen Bedingungen das Beste für Schüler und Musiker herauszuholen. „Religion oder gesellschaftlicher Stand waren mir immer egal.“ Das hatten ihm sein Zuhause und die Kapellknaben mitgegeben.

Und die Erfolge geben ihm Recht. Ob mit der Kreismusikschule, die er kürzlich als dienstältester Direktor und nunmehr Rentner an die Nachfolgerin übergab, mit dem Orchester oder seinen Chören – ihm gelang es in über vier Jahrzehnten das Kulturschiff durch alle schwierigen Gewässer zu steuern. Das wird am 6. Oktober in der Potsdamer Staatskanzlei mit dem Verdienstkreuz des „Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“, einer der höchsten Auszeichnungen der Bundesrepublik, gewürdigt werden.

(Jürgen Bischof ist unter anderem Künstlerischer Leiter des Uckermärkischen Konzertchores Prenzlau.)